G E R M A I N E  R I C H T E R

 

 

 

Aktuelles

 

 

Kunstvermittlung

 

Positionen zeitgenössischer Kunst

"Germaine Richier"

17.Okt., 24.Okt., 7.Nov. 2023, 17.30 - 19.00

VHS Schwerte

 

 

Ausstellungen

 

 

"EGO"

Schloss Ringenberg

Schlossstr. 8

Hamminkeln-Ringenberg

Eröffnung 25.8.2023, 17.00

25.8. - 6.10. 2023

https://www.reflex-nw.de/2023/09/04/impressionen-vernissage-im-schloss-ringenberg/

 

"EGO"

Stadthalle Kamen

ab 30. Nov., 2024

 

                                       

Graphik zu "500 Jahre Reformation"

Künstler illustrieren Luther-Zitate

"Die größte Ehre, die ein Weib hat, ist allzumal, dass Männer durch sie geboren werden."

Gemeindezentrum an der Viktor Kirche

Schwerte, Marktplatz

Dauerausstellung

 

 

Ausstellungsbesuche

Wiebke Siem

KI - Shift

Marina Abramovic - 54 Hours performances

Monica Bonvicini

Jenny Holzer

Rosemarie Trockel

 

 

Wiebke Siem, Das maximale Minimum, Kunstmuseum Bonn, 1.6. – 17.9.2023

 

„Ich bin eine Frau, meine Sicht auf die Welt ist die einer Frau“, so äußert sich Wiebke Siem über ihre Grundhaltung zu all den Fragestellungen, die sie zu ihren Werken antreibt. Den immer noch dominanten männlichen Blick auf die Welt, der für sie von Männern und Frauen ausgeht, empfindet sie als ihren eigentlichen Gegner. In diesem Spannungsfeld ereignen sich ihre Arbeiten. Vielleicht ist so der Ausstellungstitel, der auch als Titel einer Arbeit mit langen dünnen Perlenpuppen am Faden auftaucht, zu verstehen, im konnotativen Umfeld des Min-Max-Theorems. Dieses beschreibt ein grundlegendes Lösungskonzept in der Spieltheorie. Im Vordergrund steht die Zielvorgabe der Minimierung des gegnerischen Maximalgewinnes beider Spieler. Wird hier auf die gegenseitige Festschreibung in sozialen Rollen angesprochen? Geben tradierte, vorgeformte Gegenstände dem Menschen die Grenzen seiner Individualität vor? Oder verweisen die Begriffe „Minimum“ und „Maximum“ als mathematische Begriffe auf ein Wirtschaftsdenken, das auch im Kunstbetrieb das Machbare bestimmt, wie im Vorwort des Ausstellungskatalogs angedeutet wird? Der Titel spannt ein weites Wahrnehmungs- und Reflexionsfeld auf. 

Die Ausstellung umfasst Werke aus den frühen 80ern bis zu den gerade zu Ende gegangenen Pandemiejahren, von den stärker mit Design verbundenen Kleidungsserien bis zu den eher im Substantiellen verhafteten Fadenmarionetten. Immer wieder tauchen bekannte Formen in neuen Zusammenhängen auf: Klöppelstäbchen, Kochlöffel, Kabeltrommeln, Schuhleisten, Nudelhölzer, Holzschalen, Teile von Schaufensterpuppen, Holzköpfe, Körbe, Ringe, Bälle, Schüsseln, Teller und immer wieder Genähtes, Ausgestopftes.

Ganz wunderbar komisch und zugleich unendlich traurig: „Niema tego zlego coby na dobry nie wyzlo“ von 2007. Der Titel ein polnisches Sprichwort, das Siems Mutter immer wieder sagte: Es gibt nichts, was so schlecht wäre, dass man ihm nicht auch etwas Gutes abgewinnen könnte. Ein kahler Installationsraum, ausgestattet mit einem Küchenbuffet der 50er Jahre und einem Küchentisch mit den passenden vier Stühlen, alles im Gelsenkirchener Barock. Ganz klein wirken die Möbel durch die riesige Leuchte über dem Tisch. Von der Decke bis knapp über die Tischplatte baumelt der Lampen-Schirm-Körper, wie ein orangenes Kinderkleidchen, weiß schaut der Leuchtkörper unten draus hervor wie ein weißes Unterhöschen. Den Abschluss bildet das Bedienungsschnürchen, das hell angestrahlt darauf hinweist: hier muss man dran ziehen! Schlaff hängen schwarze textile Wurstarme mit Händen und -beine mit Mickey Mouse Füßen an der Lampe herunter. Ermattet vom Tagwerk in der Küche, widerspruchslos gegenüber der Rollenerwartung und dennoch angenehm erhellend – was wird hier alles an Gedanken transportiert! Kindheitserinnerungen, Vater-, Mutter-, Familienbilder, soziale Erwartungen, Einschränkungen von individueller Entfaltung, soziale Prägung, Designfragen, aber auch eine Fokussierung auf den Frauenkörper, seine Sexualität, seine Gebärfähigkeit, seinen Gebrauchswert aus männlicher und auch weiblicher Sicht.

Durch diese vielfältigen Wahrnehmungsebenen schleichen sich Wiebke Siems Arbeiten in unsere Gedankenwelt und hinterlassen neue Blickrichtungen auf unser tägliches Miteinander.

 

 

SHIFT – KI und eine zukünftige Gemeinschaft, Marta Herford, 17.6. – 15.10.2023

 

Kein Tag vergeht ohne Berührung mit dem neuen wundersamen Schreckensbildnis „Künstliche Intelligenz“. Bevor man sich die Ausstellung im Marta anschaut, sollte erst einmal der Begriff selbst korrigiert werden, zu stark verweist das Wort „Intelligenz“ auf menschliche Individualität und Qualität. Das kann von Computern, von Digitaltechnologie nicht geleistet werden. Das Wort legt uns geradezu nahe, dass eine neue Art von Menschsein hier entstanden sei, mitnichten. KI ist eine gesteigerte Fähigkeit digitaler Tools, die auch schon vor der Veröffentlichung von Chat-GPT, in gesellschaftlichen Zusammenhängen, in Technologie und Wissenschaft genutzt wurde, z.B. in Bildgeneratoren, autonomen Fahrassistenten, Sprachumwandlungen. Den Eigenschaften all dieser Programme scheint der Begriff „exponentielles maschinelles Lernen“ gerechter zu werden.

Die Ausstellung stellt neun internationale Konzept-KünstlerInnen mit raumgreifenden Installationen vor, die alle Verbindungen zwischen gesellschaftlichen Vorgängen und KI-Entwicklungen reflektieren. Dabei macht KI diese Werke erst möglich und bietet im Ergebnis außerdem Ansätze und Impulse zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Inhalten. Die sinnliche Erfahrung der Werke führt dabei häufig zu großem Staunen und Bewunderung, gleichzeitig auch zu Angst und Grauen.

So hängen in einem Raum 30 sehr unterschiedliche plastische Gesichtsmasken von der Decke, sie alle sind aufgrund einer genetischen Probe der amerikanischen Whistleblowerin Chelsea E. Manning entstanden. In „Probably Chelsea“ von 2017 geht Heather Dewey-Hagborg der wissenschaftlichen These nach, dass aus genetischem Material das Aussehen eines Menschen ablesbar sei. Noch wird hier eher das Gegenteil bewiesen, aber vielleicht hält die Zukunft diese Erleichterung z.B. bei der Suche nach einem Täter bereit. Aber dahinter verbirgt sich auch, dass wir alle jederzeit ablesbar  unsere Identität hinterlassen, beunruhigend.

Schaurig schön der Raum mit der 8-Kanal-Klanginstallation von Christian Kosmas Mayer. In „Maa Kehru“ von 2021-22 hat er die Stimme einer 2000 Jahre alten Mumie erweckt, deren Töne zu uns dringen vor den animierten, doppelt belichteten Geisterfotos von William H. Mumler. Das menschliche Sehnen nach Unsterblichkeit manifestiert sich zusätzlich in Mayers Skulpturen der Serie „If you love life like I do“ von 2019. Sie thematisieren die bereits durchgeführte Kryonik, bei der sich Menschen kopfüber tiefgefrieren lassen, um irgendwann wieder erweckt zu werden. Vergangenes weht einen an, die Endlichkeit des eigenen Lebens wird bewusst und das Vergehen rückt greifbar und hörbar nahe.

Louisa Clements Werk zeigt, wenn auch eher ungewollt, die Anfälligkeit von KI gegenüber äußeren Störaktionen. Sie hat „Repräsentantinnen“ 2021 entwickelt, KI gesteuerte Sexpuppen nach eigenem Aussehen. Nach Hackerangriffen blieben von diesem Werk nur zwei isolierte Köpfe, die auf einer großen Leinwand ziellos umherrollen und endlos wiederholen „I can´t connect to internet“. Bittere  Ironie drängt sich in die Betrachtung dieser Kopf- und Körperlosigkeit und deren Abhängigkeit von digitalen Techniken, gut dass hier nur Avatare betroffen sind. Auch Clements Fotoserie „Hands are tired“ von 2021 hinterlässt eher eine Rückbesinnung auf kostbares Menschsein, auf diesen natürlichen Wert von Leben, der schwerlich von maschinellem Lernen ersetzt werden kann.

Gehrys „Nicht-Räume“ sind genau richtig für diese Gratwanderungen zwischen wagemutigen Fragestellungen, beruhend auf wissenschaftlicher Forschung und digitalen Technologien, und den einfachen Wahrnehmungen und Gedanken zum jetzigen Sein.

 

 

54 Hours Performances. Free interdisciplinary performance Lab (30. Juni – 9. Juli 2023

Museum Folkwang, Essen)

 

Marina Abramovic ist in der Performance Kunst eine überragend erfahrene Pionierin. Ihre Werke sind Erkundungen der eigenen Möglichkeiten, geprägt von Ausdauer, der Suche nach den eigenen Grenzen, dabei voller Empathie, Mut und Leidensfähigkeit.

Diese Position bekräftigt sie in einem Zoom-Interview aus New York: mit jeder Faser ihres Seins lebt sie ihr Werk. Und so versteht sie sich auch als Lehrende auf der Pina-Bausch-Professur an der Folkwang, Essen, voller Überzeugungskraft und Einsatz hat sie sich ein Jahr lang der Weitergabe ihrer Kunst gewidmet, 23 ausgewählte Studierende hatten die Möglichkeit, mit ihr an ihren eigenen Zielen zu arbeiten. Für die Ergebnisse hat das Folkwang Museum großzügig Raum geschaffen.

Das abrupte Eintauchen in die intime schutzlose Gedankenwelt anderer Menschen ist während der ersten Schritte befremdlich. Geräusche, Töne von Aktionen, die nur hörbar und noch nicht sichtbar sind, beflügeln die eigene Fantasie. Durchwandern, Sich-einlassen, Staunen, Hinterfragen, Mitmachen und Fühlen, überraschend, welche Themen und persönlich empfundenen Problemlagen, die nach Ausdruck verlangen, hier aneinander gereiht mich erreichen. Stunden durchwandere ich so ganz persönliche Anliegen, einiges berührt, anderes erreicht nur meine Oberfläche.

Bleibend Francesco Marzano mit seiner Performance „Tabula rasa“. Auf einem Podest, ganz zurückgenommen in der Ecke sitzt er auf einem Stuhl, neben sich auf dem Boden ein kleiner Stapel abgegriffener unterschiedlicher Buchformate, seine gesammelten Tagebücher. Sein Tun in den kommenden zehn Tagen: in ruhigem, fast traumverlorenen Ton liest er in seiner melodischen Muttersprache Italienisch Seite für Seite aus seiner Vergangenheit, reißt die betreffende Buchseite aus dem Heft heraus, zerknüllt sie und wirft sie auf den Boden. Dort sammelt sich, wovon er sich befreien möchte. Stumm wandert auf einem fußnahen Bildschirm die deutsche Übersetzung als stille Bekräftigung vorbei. All das ereignet sich ohne Hast, ohne innere Regung, ohne Anzeichen von Kraft. Nur in mir spüre ich eine leichte Wehmut, Schmerz, Melancholie. Herausreißen als Neuanfang?

Dennoch als Performance ganz wunderbar bewegend, ein Impuls zur Reflektion.

Und für alle Teilnehmenden ein Schritt in ihr Leben.

 

 

Monica Bonvicini, Neue Nationalgalerie, Berlin, 25.11.2022 - 30.4. 2023

dazu ein paar Anmerkungen:

Welch ein Empfang! Ein riesengroßes spiegelndes Quadrat steht vor dem mittigen Eingang zum gläsernen Kultbau von Mies van der Rohe, verdeckt ihn und - auf den ersten Blick – verschandelt den lichten Blick durch die offene gläserne Halle, wobei sie diese in ihrer Höhe um Meter überragt. Bedruckt ist dieses schräg angelehnte Werk mit einem angeschnittenen Textfragment, mehr ahnend als wissend liest man die schwarzen Buchstaben „I do you“, es könnte auch ein „I don´t you“ oder ein „I don´t … you“ sein. Die enthaltene Botschaft ist nur vage entzifferbar: „ich mach dich…“,  „ich mach dich nicht…“,  „ich … dich nicht“. Bezieht sich das „you“ auf die Architektur, den Besucher, allgemein auf die Welt? Konkreter wird die Aussage, tritt man an diesen Wortspiegel heran, sieht sich selbst in dieser Fläche und hinter sich die reflektierte Kulisse: Straßen, Gebäude, Wände, Versorgungskästen, eben die ganze hässliche Ansicht jenseits der Potsdamerstraße, die Spielbank, die Silhouetten rund um den Potsdamer Platz, Wildwuchs zeitgenössischer Stadtarchitektur. Auch wir spiegeln uns, sind ein Teil dieser Wirklichkeit, verursacht von Raumplanern, Architekten, finanziert von Politik und Wirtschaft – männlichen Ursprungs, auch das ein Aspekt dieser Arbeit Bonvicinis, deren Position allgemein als feministisch im Ansatz gilt. Nach dem Blick in diesen Spiegel, der sich lässig anlehnt an einen erhabenen schönen Raum, nimmt man Stadtarchitektur anders wahr, hinterfragt Linien, Volumina, Materialien, Farben, Zusammenspiel mit Natur. Warum sieht Berlin an dieser Stelle so aus, wie es aussieht? Wären andere Lösungen möglich?

Auch die Werke im Innern lösen ein Erstaunen aus, begleitet von Beunruhigung und Unbehagen.

Die Bodenbedeckung des eingebauten Podests besteht aus Teppichfliesen. Jede einzelne ist bedruckt mit dem unterschiedlichen Motiv einer fallengelassenen Hose, unordentlich, einfach zurückgelassen. Aber hier gibt es nichts aufzuheben, nichts aufzuräumen, in guter Laune schreitet man über diese Relikte häuslicher Alltäglichkeiten hinweg.

Als Anmerkung muss ich hinzufügen, dass meine beiden Begleiterinnen sich an ihren Ordnungssinn gemahnt fühlten und - in Gedanken immer noch verärgert - Erinnerungen austauschten über reale Situationen in ihrem Leben. Ob es Begleitern ähnlich ergeht?

Dieser Aspekt, wie Handlungen, Dinge oder Materialien weiblich oder männlich konnotiert sind,  scheint durchgehend den Werken eingepflanzt zu sein, als Impuls, die Welt und das, was darin geschieht, genauer zu betrachten, zu reflektieren und mit dem eigenen Tun abzugleichen.

 

 

Jenny HolzerK21, Düsseldorf, ab 11.3.2023 

dazu meine Eindrücke:

„The beginning of the war will be secret." (Der Anfang des Krieges wird geheim sein, wird im Dunkeln liegen.), so steht es eingraviert in zeitlosen Großbuchstaben auf der Sitzfläche einer leicht gebogenen roten Granit-Bank. Ein einfacher, fast trivialer Satz, gleicht man seinen Inhalt ab mit unserer jetzigen europäischen Wirklichkeit, macht er nachdenklich. Warum ist der Anfang eines Krieges nicht bekannt? Merken wir nicht, wann und wie wir in Richtung eines Krieges handeln? Welche Möglichkeiten hätten wir nutzen können, um einen Krieg zu verhindern? Können wir aus Fakten für eine zukünftige Vermeidung lernen? Oder verbirgt sich hinter dem Satz ein ewiges Gesetz? Bleibt uns nur Fatalismus? Sind es immer wieder dieselben Mechanismen? So lakonisch, einfach, emotionslos, wie die Worte die  Steinbank überziehen und in die polierte Sitzfläche eingegraben sind, so widerstandslos stehen wir davor und akzeptieren den Inhalt. Überträgt sich der Inhalt auf uns oder bleibt uns der Inhalt verborgen, wenn wir uns auf die Bank setzen?

17 solcher Bänke, alle überzogen mit Sätzen aus der „Survival“-Serie stehen in einem großen Kreis, stumm, sakral, wie Zeugen unseres Menschseins in all seinen Widersprüchlichkeiten.

Die Wände dieses Ausstellungsraumes sind eintönig bedeckt mit den grellen Plakaten der frühen Serien der „Truisms“ und „Inflammatory Essays“, ein merkwürdig berührender Gegensatz.

Jenny Holzer, geb. 1950, US-amerikanische Konzeptkünstlerin, konfrontiert uns mit Sprachpaketen zu Krieg, Gewalt, Tod, Sexualität. Verpackt sind diese Pakete als Plakate, Drucke, Malereien, Leuchtschriften, Skulpturen, im Außenbereich mit riesigen Lichtinstallationen und in Drucken auf Gebrauchsgegenständen oder alltäglichen Objekten.  Ohne Stellung zu beziehen, sind gedankliche Positionen formuliert. Von ihnen gehen Impulse an die BetrachterIn/LeserIn aus, den eigenen Standort zu finden.

„Ich fühle mich von Werken wie Goyas „Schwarzen Gemälden“ angezogen und stehe ehrfurchtsvoll vor Matisse ´“Die Lebensfreude“. Ich habe mehr Zeit auf Goya-Terrain verbracht, doch diesen Matisse wollte ich immer zumindest begreifen.“ So verortet sie sich gedanklich, was in dieser Ausstellung spürbar wird.

Leider, leider ist keine der großen überwältigenden Lichtinstallationen zu sehen, wie einst am Frankfurter Literaturhaus oder an verschiedenen Außenwänden in Basel.

 

 

Rosemarie Trockel, MMK, Frankfurt, 10.12.2022 - 18.6.2023

dazu mein Leserbrief auf die Besprechung von Stefan Trinks in der FAZ vom 12.11.2022

"Aus dem Nähkästchen gekämpft"

Nicht wirklich kämpfend ist Rosemarie Trockel aufgestiegen in die Weltrangliste der lebenden KünstlerInnen, denn der Titel etlicher Arbeiten „Less sauvage than others“ (Weniger wild als andere) gilt auch für ihre künstlerischen Aufschläge. Eher leise, zurückgenommen, hintergrundverdächtig kommen ihre Werke daher, aber in ihrer gedanklichen Impulsgebung sind sie Paukenschläge. Folgt man Rosemarie Trockel, kann man nicht anders, als in menschlichen, gesellschaftlichen und auch politischen Zusammenhängen unbenannte Wahrheiten zu entdecken. Als thematisiere sie die Luft zwischen den Strickmaschen und damit das, was uns wärmt, so rührt sie an Unbewusstes und setzt Gedanken in Gang.

Deswegen ein Dankeschön an Stefan Trinks, der diese große Künstlerin zu ihrem 70. Geburtstag würdigt. Und einen noch größeren Dank an Cecilia Alemani, Kuratorin der diesjährigen Biennale Venedig, die Rosemarie Trockel zentral in den Hauptpavillion der Giardini holte und damit auch den Blick einer Frau auf unser Leben und auf die Kunstgeschichte. Eins ihrer Werke dort, „o.T. (Bibliothek Babylon), 1997“, zeigt eine junge Frau beim Studium kunstgeschichtlicher Literatur, Buchtitel mit den Namen männlicher Kollegen umgeben sie, leicht aufreizend sitzt sie da, stützt den Kopf auf ihre Hände, denkt nach, schaut den Betrachter an. Aus dieser Situation heraus schuf Rosemarie Trockel ihre Strick- und Herdbilder und öffnete unseren Blick für das „Weniger Wilde“ aber genauso „Wichtige“. Nein, sie muss sich nicht mit den Qualitäten von Beuys messen, auch nicht in ihren grafischen Arbeiten, denn messerscharf hat sie erkannt „Jedes Tier ist eine Künstlerin“, unermesslich ist der Reichtum der Erkenntnis unserer Wahrnehmung, folgt man den Linien ihrer Arbeiten. 

 

 

                                                                          

 

 

 

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© Germaine Richter