Städtische Galerie im Rombergpark, Dortmund

 

Auszug aus einem Schreiben von Ulfried Weingarten, Künstlerischer Leiter des Kunstvereins Schwerte

…viel zu schwierig, um mal eben hinzugucken und alles geklärt zu haben…

 

…die Frage nach dem Botanischen Garten nebenan entscheidend, der zumal jetzt im Winter in ein ganz anderes „Licht“ gestellt wird, schöne Illusion, dass man da etwas „sicher“ hat – Natur, und da liegt auch das Empfinden des Betrachters für diese Ausstellung: Vanitas. Und das alles sehr dezent, mit unglaublicher Ruhe und gezielter Gelassenheit, die Skulpturen teilweise geradezu lasziv, den Betrachter entlarvend, nicht zuletzt vielleicht die aufkommende Idee, sich in Sicherheit zu bringen…

 

…der Kopf mit dem Veilchen-Kranz beinhaltet Bedeutungswandel, der reizt, einen Bogen zu spannen von der Antike zu Goethe und zum Design. Aber das alles nicht „so richtig“, denn dann gäbe es Eineindeutigkeiten – und davon kann keine Rede sein, es bleibt, wenn nicht „zu wichtig“, doch auf jeden Fall „zu schwierig“ so einfach mal darüber zu reden…

 

…der Grundtenor die Vermeidung von Zuordenbarkeit neben Erotik und Tod.

 

 

Prof. Dr.Stefanie Lieb, Kunsthistorikerin, Universität zu Köln, Kath. Akademie Schwerte

 

Pflanzen sind einfach da, und sie verdeutlichen mit ihrem Kreislauf von Wachsen, Blühen und Verwelken die Ewigkeit und gleichzeitig Vergänglichkeit alles Lebendigen. Wenn Germaine Richter zu ihren Blumenbildern und –objekten sagt, „die Blume weiß doch auch nicht, was das soll, sie blüht einfach“, dann spricht die Künstlerin einen zentralen Aspekt in ihrem Œuvre an: der Versuch einer Mimesis von Leben bei gleichzeitigem Wissen ihrer Unmöglichkeit. So sind die kleinformatigen Arbeiten, die Germaine Richter vorrangig vom Objekt her kommend denkt, Verkörperungen von Lebenszuständen in Stadien des Unsagbaren.

 

In den Klappbüchern „SAGA“, die vom Format her an japanische Rollbilder erinnern, erstellt Germaine Richter Charakterstudien von unterschiedlichen Pflanzen zu bestimmten Jahreszeiten. Plastizität gewinnen die Bücher durch ihre Faltung, aber auch durch die Art und Weise der in ihnen aquarellierten Blumen: jede Blüte, jeder Stängel und jedes Blatt zeigen neben ihrer farbigen Pracht auch immer einen dunklen Schatten. Der Schatten wird zum gestalterischen Gegenüber und zum Symbol des wiederspiegelnden Lebensscheins. Die bunten Farben der Blüten stehen für die überreiche, fruchtbare Natur, ihre Schatten im Hintergrund sind die Reflexionen und Abbilder des Ästhetischen im Sinne eines platonischen Verständnisses. Der Mensch kann die Vehemenz der Schönheit und Realität des Seins nicht direkt erfassen, nur im projizierten Abbild vermag er sie zu erkennen.

 

Auch auf den „Tondi“ als scheibenförmigen Bastgeflechten erscheinen wieder Blumenprofile. Diesmal hat Germaine Richter sie aber separiert und ihnen damit eine fast symbolträchtige Bedeutung verliehen. Die Mohnblüte in Weiß, Violett, Rot oder als schwarzer Schatten auf dem himmelblauen Hintergrund der Tondi wird zum Zeichen der Natur an sich. Wenn dann diese Tondi von der Künstlerin assoziativ zu Rädern umfunktioniert werden und ein wagenartiges Gefährt bestücken, dann ist mit diesem spielerischen Akt eine Verbindung zwischen Natur und Kultur hergestellt: Der Blumenwagen kann die Blütenträume von Germaine Richter immer weiter transportieren.

 

Traumartige Gebilde sind auch die kleinen architektonischen Plastiken der Künstlerin, die sie, inspiriert durch Reiseerlebnisse, als filigrane Gebilde aus Papier und Acryl gefertigt hat. Der steile weiße Felsen, aus dessen Gipfel kleine zellenartige Strukturen wachsen, mag an griechische Bergklöster in schwindelnder Höhe erinnern. Die Einrad-Plastik „Ein Raum für V. W.“ zeigt mit seinem stufenartigen Aufbau Bezüge zu indischen Prozessionswagen und Tempelbauten. Der Titel spielt nicht zufällig mit Virginia Woolfs Essay „A RoomofOne’sOwn“ von 1929, in dem die Autorin sich für eine kreative und unabhängige Privatsphäre der Frauen einsetzte. In Germaine Richters Plastik wird dieser Raum zum Privatissime in Rosa, dessen Allerheiligstes der Fantasie vorbehalten bleibt.

 

Als eine größere Objektgruppe im Werk der Künstlerin treten dann auch die Frauen auf; Frauenkörper und -köpfe, zumeist als weiße Projektionsfläche belassen und dann mit farbigen Blumenmotiven geschmückt. Reine Dekoration stellen die Blumenranken in diesem Zusammenhang jedoch nicht dar, vielmehr sind sie hier wiederum das Zeichensystem der Natur und ihrer Mechanismen, transformiert auf den weiblichen Körper. Bei der Kopfserie „All inclusive“ entspringen aus den geöffneten Frauenköpfen Blumen, die sich mit ihren Blüten auf die Gesichter legen. Die kleinen farbigen Büsten aus Pappmaché sind ebenso mit Blumen bedeckt, in ihren Hohlräumen verbergen sie kleine Verliese zum Deponieren von Geheimnissen. Eine Analogie zu mittelalterlichen weiblichen Reliquienbüsten ist vielleicht von der Künstlerin nicht in erster Linie gesehen worden, kann jedoch sehr gut den Bezugsrahmen von Leben, Tod und Ewigkeitssymbolik ergänzen.

Die ganzfigurigen weißen Frauenakte, die statisch in einer Schachtel liegen und mit bunten Blumen bemalt sind, präsentieren mehrdeutige weibliche Lebensbilder: Ist es hier die Frau, die als ewige Braut und Fruchtbarkeitsgöttin im Einklang mit der Natur „vegetiert“ oder doch eher die in ihrer Rollenschachtel eingeklemmte Frau, die die Natur und ihre geistige Kraft braucht, um ihrer körperlichen Beschränktheit entkommen zu können? Sicherlich ist es auch eine Selbstmetapher der Künstlerin Germaine Richter, die damit ihre künstlerische Inspirationsquelle, die Blumen und ihre Welt, charakterisiert.

 

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© Germaine Richter