Endlich erreichen die Werke Paula Regos (1935 – 2022) auch ein breiteres Publikum in Deutschland, nachdem sie auf der Biennale in Venedig mit einigen Schlüsselwerken eine wichtige Stimme in der Hauptausstellung „The Milk of Dreams“ war – Träume und Albträume aus weiblichen Gedankenströmen.
Schon der Ausstellungstitel verweist auf die Verbindung Biographie – politische Aussage. Paula Rego durchlebte die ersten 15 Jahre ihres Lebens die persönlichen Einschränkungen und Drangsale der Salazar-Diktatur Portugals, bevor sie in England durch die Möglichkeiten eines freien Lebens zu ihren kritischen Reflektionen fand. Immer ist persönliche Erfahrung der Hintergrund zu allgemeingültigen Aussagen.
So zeigt ein kleines Ölbild „Verhör“, das sie im Alter von 15 malte, eine junge Frau, mittig, auf einem Hocker, ganz in sich verschränkt, verdreht, verschlossen, links und rechts eingerahmt von zwei männlichen Gestalten, die nur frontal bis zum Hosenbund sichtbar sind. Sie scheint in diesem Verhör der übermächtigen Staatsgewalt der beiden Staatsdiener ausgeliefert zu sein. Keine Bewertung, keine Frage nach Schuld oder Unschuld, was sich aufdrängt, ist die Ungleichheit der Möglichkeiten, die Frage nach Macht und Ohnmacht. Diese Machtstrukturen in sozialen Zusammenhängen sind der Boden, auf dem die malerischen Erzählungen Regos sich ereignen.
So auch in der spielerisch anmutenden Serie „Girl and Dog“ aus den 80ern, mittelgroße, leuchtend bunte Tafeln, die alle ein Mädchen mit einem braven Haustier zeigen, in gemeinsamer Aktion. Aber welcher Seelenabgrund verbirgt sich in diesem oberflächlichen Spiel! Krault das Kind dem Hund die Kehle oder setzt es mit dem Rasiermesser zum Schnitt an? Füttert es das Tier liebevoll oder greift es ihm machtvoll mit kräftiger Hand in die Lefzen? Legt es ihm ein Halsband um oder wird es ihn an dieser Kette aufhängen oder erdrosseln? Auch nimmt man diesem körperlich kindhaften Menschen, betrachtet man die Proportionen und die Gesichtszüge, nicht das zarte Alter ab. Hier scheint jemand seine Machtposition auszutesten, der Hund ist aufgrund seiner Erziehung und Sozialisierung im Ausgeliefertsein, naiv und gutgläubig hält er still gegenüber seiner „Meisterin“.
Immer wieder treten Tiere als Verkörperungen menschlicher Zustände, und Eigenheiten auf. Schon sehr früh entscheidet sich Paula Rego, statt die hässliche Seite eines Menschen ins Bild zu setzen, diese durch zugeschriebene Eigenschaften eines Tieres zu zeigen, als wage sie es nicht, ein menschliches Wesen durch direkte Aussagen zu beleidigen, so z.B. in den frühen Bildern zu den Zuständen der Salazar Diktatur oder auch in der kleinen Kohlezeichnung „Dog Woman“ von 1952, in der eine Frau mit gekrümmtem Rücken, aber Zähne zeigend zu kuschen scheint.
Politisch bedeutsam sind ihre großen Pastell-Bilder von einsamen Frauen nach einer Abreibung. Nichts Genaues wird hier gesagt, der Eingriff wird höchstens durch einen Eimer oder ein Handtuch angedeutet, aber an der Körpersprache und dem Gesichtsausdruck ist ablesbar, in welchem Schmerz und welcher isolierten Verzweiflung sich diese Frauen befinden. Gemeinsam mit einem Partner wurden sie schwanger, aber völlig alleine stehen sie die Folgen durch. Mit dieser Serie unterstützte Paula Rego die politische Bewegung zur Gesetzesänderung beim Schwangerschaftsabbruch in Portugal. Ihr Blick richtet sich darin nur auf das Leben der Frauen und nicht auf das der ungeborenen Kinder. Das Leid und das Leiden dieser Frauen wird für die BetrachterInnen der Bilder beunruhigend greifbar.
Höhepunkt der Ausstellung ist eine installative Anordnung von 8 Pastell-Bildern und 8 Figuren in einem Schrank-Altar, „Oratorium“, von 2009, diese war auch auf der Biennale in Venedig 2022 zu sehen. Die Darstellungen thematisieren Übergriffe im menschlichen Zusammensein, Vergewaltigungen im Körperlichen und Seelischen, sie alle verweisen auf kritikwürdige Machtstrukturen in unseren täglichen Erfahrungen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Die Figuren im Mittelteil, sie tragen Schwesternkleidung, kümmern sich um Kinder, sie scheinen hilflos, abgestumpft, unbeteiligt gegenüber dem Leid und der Hilflosigkeit der ihnen anvertrauten Kinder. Paula Rego stellte dieses Werk 2010 im Foundling Museum in London aus, einem Gebäude, das ursprünglich als Waisen-Hospital gebaut wurde. Sie scheint ihre Sicht auf gesellschaftliche Verwerfungen in dieser Form umfassend zu zeigen. Die Form des Flügelaltars, die in christlichen Kirchen dem Bildprogramm von Heiligen oder Geschichten aus der Bibel vorbehalten sind, kommt hier einem Tabubruch nahe, einer Kritik an unguten Machtstrukturen in den großen Religionsgemeinschaften.
Paula Rego berührt gesellschaftliche Schwachpunkte, die sich meist unsichtbar in Grauzonen abspielen. Ihre Darstellung setzt beunruhigende Gedanken über Zusammenhänge und Hintergründe in Gang.