HAUS DER KAMENER STADTGESCHICHTE, KAMEN

 

Ich ist nur ein Teil von mir, 2024/25 

6-teilige Installation, 2024/25, Papierhohlform, kaschiert, Acryl, Höhe der einzelnen Formen etwa 36cm, Durchmesser der einzelnen Formen etwa 15cm

 

Ich ist auch eine Andere, a, b, 2025

2-teilige Installation, 2025, Papierhohlform, kaschiert, Acryl, Höhe der einzelnen Formen etwa 74cm, Durchmesser der einzelnen Formen etwa 17cm

 

Germaine Richter nimmt das Thema der Substitution, bzw. der Transformation, wie es im Ausstellungstitel anvisiert wird nicht wörtlich, also bezogen auf unsere dingliche Welt, sondern metaphorisch.

 

 

Ihr Thema ist der Mensch. „Land“ und „Fluss“ stehen für zwei Pole, zwischen denen sich etwas ereignet. Zu diesen fluiden Erscheinungsformen gestaltet sie zwei Werkgruppen.

 

In der 6-teiligen Installation „Ich ist nur ein Teil von mir“ kreist sie gedanklich um die Gegensätze von „innen-außen“, „zeigen-verdecken“, „erkennen-ignorieren“. In der äußeren Form spielt sie dabei humorvoll auf eine Kapsel, eine Verpuppung an.

 

Das Ich kann sich selbst betrachten oder von anderen von außen betrachtet werden. Beide Sichtweisen sind abhängig von vielen individuellen Faktoren der agierenden Menschen, solchen, die sie selbst bestimmen können und wollen, und solchen, über die sie weniger bewusste Entscheidungs-möglichkeiten haben. Das entstehende Bild von einem Menschen entwickelt sich beispielsweise aufgrund von Willens-kraft, Zielsetzungen, argumentativen Kriterien, Gefühlslagen, Stim-mungen, intuitiven Maßnahmen und Wahrnehmungen.

 

Das Ich ist nie als Ganzes wahrnehmbar, auch die zeitliche Entwicklung verhindert das. Die äußere Form ist nicht deckungsgleich mit dem Inneren. Jede Äußerung zu einem Ich bewegt sich in Vermutung, Annäherung und muss fluide gelesen werden. Sie ist individuell abhängig. Die jederzeit anstehenden Entscheidungen zur Beurteilung können als Wegkreuzungen gesehen werden, die auch andere Lösungen denkbar machen. Zu allem gibt es immer Alternativen.

 

Aus der Position des Ich: Wie will ich gesehen werden? Was offenbare ich? Was verberge ich?

 

Aus der Position des Betrachters: Was fällt mir auf? Was bleibt mir verborgen? Welche eigenen Faktoren bestimmen meinen Blick auf den Anderen?

 

Die Schlussfolgerungen daraus sind: jede Erscheinungsform eines Menschen kann auch anders sein oder anders wahrgenommen werden. Zu jeder Darstellung, zu jedem Blick gibt es Alternativen, ein Anstatt.

Um es in Schlagworten auszudrücken: statt männlich weiblich, statt halb ganz, statt oben unten, statt bunt unbunt, statt vage eindeutig, usw.

 

Wir machen uns ein Bild – von uns selbst und von unserem Gegenüber, und jedes Bild könnte auch ein Anderes sein.

 

Die 2-teilige Installation „Ich ist auch eine Andere“ widmet sich dem Feld zwischen den Polen und den sprachlichen Begrenzungen.

 

Ein Individuum zeigt unzählige nuancierte Eigenschaften in seiner Selbstwahrnehmung genauso wie in der Wahrnehmung eines Gegenübers. Zur möglichst genauen Er-fassung werden Aussagen differenziert, un-sere Sprache bietet dafür eine Vielzahl an Möglichkeiten.

 

Es ergeben sich übergeordnete Kategorien, wie z. B. „Größe“, deren zahlreiche Unter-begriffe sich in einem Feld bewegen, das durch die Extreme „groß“ und „klein“ be-grenzt wird. Aus dem Fundus solcher sprach-lichen Gegensatzpaare (reich – arm, Liebe – Hass, schön – hässlich, Frau – Mann, immer – nie…) setzt sich unsere Wahrnehmung und daraus folgend die beschreibende Zuordnung für einen Menschen oder einen Gegenstand zusammen.

 

Einiges tritt hervor, einiges bleibt im Verborgenen, einiges verharrt im vagen Grenzbereich. Wir befinden uns sowohl in unserem Sein als auch in unserer Sicht auf Welt jederzeit in einem fluiden Feld. Aussagen können immer auch ganz anders gewählt, gewichtet und erlebt werden.

Gegensätzliche Wortpaare erfassen die Positionen in ihren Extremen, ganz gleich, ob sie offen auf dem Körper getragen werden oder auf der verdeckenden Ummantelung erscheinen. Menschsein, Leben spielt sich eher im Bereich zwischen den Extremen ab, nicht im Schwarz und nicht im Weiß – eher im Grau. Farbe und Schrifttypen sind äußerlich, sie geben nur Impulse beim Betrachten, in der Reflektion des Zustandes.

 

Die Arbeit plädiert für das „Dazwischen“ und nicht für die Fest-schreibungen von „statt Fluss Land“ oder „statt Land Fluss“ und damit weg von der Eindeutigkeit einer Zuordnung. Jeder Begriff trägt sein Gegenbild in sich, das automatisch mitgedacht wird und das einen Raum spannt für lebendige, bewegte Veränderung.

 

 

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© Germaine Richter