Listen to the Echo

Folkwang Museum Essen, 4. Sept. 2025 – 28. Jan. 2026

Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 6. Sept. 2025 – 28. Juni 2026

 

 

Welch ein sprechender und damit gelungener Ausstellungstitel im Hinblick auf die Botschaften des Künstlers!

William Kentridge erklärt die Aufforderung wie folgt: „Dem Echo zu lauschen bedeutet, offen zu sein für das, was auf einen zukommt… Das Echo ist nicht notwendigerweise ein akustisches, es kann ebenso ein visuelles Echo sein, ein Impuls vielleicht, der sich im Körper spüren lässt, ohne dass man sagen könnte, was genau die Aufmerksamkeit erregt.“

Auf einer Tuschearbeit auf Buchseiten von 2015 „Untitled (Listen for the Echo)“, 380x215cm, stehen am unteren Rand in großen Druckbuchstaben die Worte „LISTEN FOR THE ECHO“, vielleicht als Widerhall der in kleineren Lettern gegebenen Inschrift im Blatt selbst „AS IF I COULD SWALLOW WHAT I HAD JUST SAID“; weitere Bedeutungsträger auf dem Bild: Nelken in einem Einmachglas vor einer groben Mauer. Das Raster der collagierten Buchseiten gibt den Rhythmus der Steine vor.

Welcher Widerhall steckt allein in den Details dieser Arbeit:

  • Wörter, die einmal ausgesprochen sind, können nicht wieder verschluckt werden, sie leben weiter
  • Ein dunkles Gemäuer mit schwärzlichem Fensterloch lässt Fragen nach Gebäudeart und Verborgenem im Inneren aufkommen
  • Die aus Zeitungspapier collagierten Nelkenblüten erinnern an politische Bewegungen, z.B. die Nelkenrevolution Portugals, hier strahlen sie weiß vor dem unheimlichen Fensterrechteck
  • Der provisorisch abgestellte Blumenstrauß vor der Hauswand lässt die Gedanken wandern in Richtung Mahnen oder Gedenken
  • Die vielen Schwarz-Weiß-Töne mit ihren unzähligen Varianten und Kontrasten sind nicht nur sachlich, sondern auch politisch konnotiert, wenn sie wie hier von einem Kritiker der Apartheid ins Bild gesetzt werden

… nur einige der widerhallenden Echo-Gedanken, die spürbar werden können, Impulse, die Kentridge selbst erfährt beim Erfassen seiner Themen und die dann in seinen Werken weiter getragen werden in die Wahrnehmungs- und Erfahrungswelt des Betrachters.

Alles hinterlässt Spuren, nichts vergeht einfach so – selbst ein ausradierter banaler Stein in einer Landschaft auf einem grafischen Blatt hinterlässt einen Grauschleier.

Spürbar wird dieser Tatbestand schon in seinen frühen Kohlezeichnungen und den daraus resultierenden Videos „Drawings for Projection“, in denen nichts verloren geht, auch wenn viel ausradiert, neu überschrieben, verändert, erweitert, umgestaltet wurde. Die Zeichnungen und damit auch die daraus gemachten Filme tragen die investierte Zeit und die staubigen Überreste als Echo in sich.

Die vielen übermalten, überzeichneten, überklebten Buchseiten – sie alle fließen mit ihren Botschaften in die nächste Generation eines neuen Erscheinungsbildes, auch wenn die oberste Schicht dominanter erscheint, wie in dem „Sibyl“- Video von 2019. Nichts ist endgültig, alles befindet sich in einem fortdauernden Strom. Vergangenes wird überschrieben, neue Kontexte kommen hinzu.

 Auch die riesigen handgewebten Mohair-Tapisserien der „Porter“- Serie ziehen ein Echo hinter sich her, so z.B. „Carte Hypsométrique de l´Empire Russe“. Vorlage dazu war das Bild eines Bootes, auf dem viele Menschen während eines Tiber-Hochwassers in Rom 1937 Zuflucht fanden. Das Motiv, aus schwarzem, gerissenem Papier, die beweglichen Teile mit Klammern verbunden, aufgeklebt auf einer europäischen Landkarte des 19. Jahrhunderts - jedes Detail verströmt Bedeutung: grob, in Eile, raumfüllend, nur schattenhaft ahnbar, aber auch wissenschaftlich fundiert, authentisch, realistisch. Das überfüllte Boot auf geographischer Landkarte erinnert an Migrationsströme unserer Zeit. Die Ausführung in riesigen Tapisserien aus kostbarer Mohair-Wolle in wochen- und monatelanger Arbeit erstellt gibt der Aussage etwas Gesetztes, Bürgerliches, Akzeptiertes.

Auch das zum Ausstellungstitel gewählte „Drawing for Self-Portrait as a Coffee-Pot (2 Private Thoughts)“, 2021, 152x208cm, hinterlässt ein Echo im Betrachter. Entstanden während der Corona Pandemie, mit eingeschränktem Wirkungsbereich, ohne die sonst für Kentridge üblichen Kollaborationen, reflektiert der Künstler hier die Herausforderung des Auf-sich-gestellt-seins in seinem Atelier. Die grafische Arbeit zeigt einen nackten älteren Mann mit Hut in nachdenklicher Haltung vor einem großen Megafon in kärglicher Landschaft. Vor einem kleinen grünen Fleck erscheint ein Plakat „2 private Thoughts“ und im rechten unteren Winkel ein Schild „How can one be warm alone“. Der Widerhall der südafrikanischen Landschaft, die vielen aktuellen und vergangenen Einflüsterungen, das private physische Sein und all die vorwärts und rückwärts gerichteten Gedanken – so vieles hallt durch das Bild.

Dabei entsteht keine leicht fassbare, eindimensionale Antwort. Nein, als Betrachtende lauschen wir den Impulsen der gesetzten Zeichen. Lösungen im Sinne von Zeichen-lesen oder Zeichen-entschlüsseln entstehen uns daraus nicht, aber immer wieder Annäherungen an eigene Lebensfragen. Es gibt keine Eindeutigkeiten. Die Wahrheit liegt im Zweifel, so widerspricht Kentridge seinem Doppelgänger in einem Studio-Film, indem er das Gegenteil behauptet, Humor ist dabei Lebenshilfe, diese Unsicherheiten auszuhalten.

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© Germaine Richter