„Ich bin eine Frau, meine Sicht auf die Welt ist die einer Frau“, so äußert sich Wiebke Siem über ihre Grundhaltung zu all den Fragestellungen, die sie zu ihren Werken antreibt. Den immer noch dominanten männlichen Blick auf die Welt, der für sie von Männern und Frauen ausgeht, empfindet sie als ihren eigentlichen Gegner. In diesem Spannungsfeld ereignen sich ihre Arbeiten. Vielleicht ist so der Ausstellungstitel, der auch als Titel einer Arbeit mit langen dünnen Perlenpuppen am Faden auftaucht, zu verstehen, im konnotativen Umfeld des Min-Max-Theorems. Dieses beschreibt ein grundlegendes Lösungskonzept in der Spieltheorie. Im Vordergrund steht die Zielvorgabe der Minimierung des gegnerischen Maximalgewinnes beider Spieler. Wird hier auf die gegenseitige Festschreibung in sozialen Rollen angesprochen? Geben tradierte, vorgeformte Gegenstände dem Menschen die Grenzen seiner Individualität vor? Oder verweisen die Begriffe „Minimum“ und „Maximum“ als mathematische Begriffe auf ein Wirtschaftsdenken, das auch im Kunstbetrieb das Machbare bestimmt, wie im Vorwort des Ausstellungskatalogs angedeutet wird? Der Titel spannt ein weites Wahrnehmungs- und Reflexionsfeld auf.
Die Ausstellung umfasst Werke aus den frühen 80ern bis zu den gerade zu Ende gegangenen Pandemiejahren, von den stärker mit Design verbundenen Kleidungsserien bis zu den eher im Substantiellen verhafteten Fadenmarionetten. Immer wieder tauchen bekannte Formen in neuen Zusammenhängen auf: Klöppelstäbchen, Kochlöffel, Kabeltrommeln, Schuhleisten, Nudelhölzer, Holzschalen, Teile von Schaufensterpuppen, Holzköpfe, Körbe, Ringe, Bälle, Schüsseln, Teller und immer wieder Genähtes, Ausgestopftes.
Ganz wunderbar komisch und zugleich unendlich traurig: „Niema tego zlego coby na dobry nie wyzlo“ von 2007. Der Titel ein polnisches Sprichwort, das Siems Mutter immer wieder sagte: Es gibt nichts, was so schlecht wäre, dass man ihm nicht auch etwas Gutes abgewinnen könnte. Ein kahler Installationsraum, ausgestattet mit einem Küchenbuffet der 50er Jahre und einem Küchentisch mit den passenden vier Stühlen, alles im Gelsenkirchener Barock. Ganz klein wirken die Möbel durch die riesige Leuchte über dem Tisch. Von der Decke bis knapp über die Tischplatte baumelt der Lampen-Schirm-Körper, wie ein orangenes Kinderkleidchen, weiß schaut der Leuchtkörper unten draus hervor wie ein weißes Unterhöschen. Den Abschluss bildet das Bedienungsschnürchen, das hell angestrahlt darauf hinweist: hier muss man dran ziehen! Schlaff hängen schwarze textile Wurstarme mit Händen und -beine mit Mickey Mouse Füßen an der Lampe herunter. Ermattet vom Tagwerk in der Küche, widerspruchslos gegenüber der Rollenerwartung und dennoch angenehm erhellend – was wird hier alles an Gedanken transportiert! Kindheitserinnerungen, Vater-, Mutter-, Familienbilder, soziale Erwartungen, Einschränkungen von individueller Entfaltung, soziale Prägung, Designfragen, aber auch eine Fokussierung auf den Frauenkörper, seine Sexualität, seine Gebärfähigkeit, seinen Gebrauchswert aus männlicher und auch weiblicher Sicht.
Durch diese vielfältigen Wahrnehmungsebenen schleichen sich Wiebke Siems Arbeiten in unsere Gedankenwelt und hinterlassen neue Blickrichtungen auf unser tägliches Miteinander.