Kein Tag vergeht ohne Berührung mit dem neuen wundersamen Schreckensbildnis „Künstliche Intelligenz“. Bevor man sich die Ausstellung im Marta anschaut, sollte erst einmal der Begriff selbst korrigiert werden, zu stark verweist das Wort „Intelligenz“ auf menschliche Individualität und Qualität. Das kann von Computern, von Digitaltechnologie nicht geleistet werden. Das Wort legt uns geradezu nahe, dass eine neue Art von Menschsein hier entstanden sei, mitnichten. KI ist eine gesteigerte Fähigkeit digitaler Tools, die auch schon vor der Veröffentlichung von Chat-GPT, in gesellschaftlichen Zusammenhängen, in Technologie und Wissenschaft genutzt wurde, z.B. in Bildgeneratoren, autonomen Fahrassistenten, Sprachumwandlungen. Den Eigenschaften all dieser Programme scheint der Begriff „exponentielles maschinelles Lernen“ gerechter zu werden.
Die Ausstellung stellt neun internationale Konzept-KünstlerInnen mit raumgreifenden Installationen vor, die alle Verbindungen zwischen gesellschaftlichen Vorgängen und KI-Entwicklungen reflektieren. Dabei macht KI diese Werke erst möglich und bietet im Ergebnis außerdem Ansätze und Impulse zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Inhalten. Die sinnliche Erfahrung der Werke führt dabei häufig zu großem Staunen und Bewunderung, gleichzeitig auch zu Angst und Grauen.
So hängen in einem Raum 30 sehr unterschiedliche plastische Gesichtsmasken von der Decke, sie alle sind aufgrund einer genetischen Probe der amerikanischen Whistleblowerin Chelsea E. Manning entstanden. In „Probably Chelsea“ von 2017 geht Heather Dewey-Hagborg der wissenschaftlichen These nach, dass aus genetischem Material das Aussehen eines Menschen ablesbar sei. Noch wird hier eher das Gegenteil bewiesen, aber vielleicht hält die Zukunft diese Erleichterung z.B. bei der Suche nach einem Täter bereit. Aber dahinter verbirgt sich auch, dass wir alle jederzeit ablesbar unsere Identität hinterlassen, beunruhigend.
Schaurig schön der Raum mit der 8-Kanal-Klanginstallation von Christian Kosmas Mayer. In „Maa Kehru“ von 2021-22 hat er die Stimme einer 2000 Jahre alten Mumie erweckt, deren Töne zu uns dringen vor den animierten, doppelt belichteten Geisterfotos von William H. Mumler. Das menschliche Sehnen nach Unsterblichkeit manifestiert sich zusätzlich in Mayers Skulpturen der Serie „If you love life like I do“ von 2019. Sie thematisieren die bereits durchgeführte Kryonik, bei der sich Menschen kopfüber tiefgefrieren lassen, um irgendwann wieder erweckt zu werden. Vergangenes weht einen an, die Endlichkeit des eigenen Lebens wird bewusst und das Vergehen rückt greifbar und hörbar nahe.
Louisa Clements Werk zeigt, wenn auch eher ungewollt, die Anfälligkeit von KI gegenüber äußeren Störaktionen. Sie hat „Repräsentantinnen“ 2021 entwickelt, KI gesteuerte Sexpuppen nach eigenem Aussehen. Nach Hackerangriffen blieben von diesem Werk nur zwei isolierte Köpfe, die auf einer großen Leinwand ziellos umherrollen und endlos wiederholen „I can´t connect to internet“. Bittere Ironie drängt sich in die Betrachtung dieser Kopf- und Körperlosigkeit und deren Abhängigkeit von digitalen Techniken, gut dass hier nur Avatare betroffen sind. Auch Clements Fotoserie „Hands are tired“ von 2021 hinterlässt eher eine Rückbesinnung auf kostbares Menschsein, auf diesen natürlichen Wert von Leben, der schwerlich von maschinellem Lernen ersetzt werden kann.
Gehrys „Nicht-Räume“ sind genau richtig für diese Gratwanderungen zwischen wagemutigen Fragestellungen, beruhend auf wissenschaftlicher Forschung und digitalen Technologien, und den einfachen Wahrnehmungen und Gedanken zum jetzigen Sein.