MMK, Frankfurt, 10. Dez. 2022 - 18. Juni 2023
dazu mein Leserbrief auf die Besprechung von Stefan Trinks in der FAZ vom 12.11.2022: "Aus dem Nähkästchen gekämpft"
Nicht wirklich kämpfend ist Rosemarie Trockel aufgestiegen in die Weltrangliste der lebenden KünstlerInnen, denn der Titel etlicher Arbeiten „Less sauvage than others“ (Weniger wild als andere) gilt auch für ihre künstlerischen Aufschläge. Eher leise, zurückgenommen, hintergrundverdächtig kommen ihre Werke daher, aber in ihrer gedanklichen Impulsgebung sind sie Paukenschläge. Folgt man Rosemarie Trockel, kann man nicht anders, als in menschlichen, gesellschaftlichen und auch politischen Zusammenhängen unbenannte Wahrheiten zu entdecken. Als thematisiere sie die Luft zwischen den Strickmaschen und damit das, was uns wärmt, so rührt sie an Unbewusstes und setzt Gedanken in Gang.
Deswegen ein Dankeschön an Stefan Trinks, der diese große Künstlerin zu ihrem 70. Geburtstag würdigt. Und einen noch größeren Dank an Cecilia Alemani, Kuratorin der diesjährigen Biennale Venedig, die Rosemarie Trockel zentral in den Hauptpavillion der Giardini holte und damit auch den Blick einer Frau auf unser Leben und auf die Kunstgeschichte. Eins ihrer Werke dort, „o.T. (Bibliothek Babylon), 1997“, zeigt eine junge Frau beim Studium kunstgeschichtlicher Literatur, Buchtitel mit den Namen männlicher Kollegen umgeben sie, leicht aufreizend sitzt sie da, stützt den Kopf auf ihre Hände, denkt nach, schaut den Betrachter an. Aus dieser Situation heraus schuf Rosemarie Trockel ihre Strick- und Herdbilder und öffnete unseren Blick für das „Weniger Wilde“ aber genauso „Wichtige“. Nein, sie muss sich nicht mit den Qualitäten von Beuys messen, auch nicht in ihren grafischen Arbeiten, denn messerscharf hat sie erkannt „Jedes Tier ist eine Künstlerin“, unermesslich ist der Reichtum der Erkenntnis unserer Wahrnehmung, folgt man den Linien ihrer Arbeiten.