Neue Nationalgalerie, Berlin, 25.11.2022 - 30.4. 2023

dazu ein paar Anmerkungen:

 

 

 

Welch ein Empfang! Ein riesengroßes spiegelndes Quadrat steht vor dem mittigen Eingang zum gläsernen Kultbau von Mies van der Rohe, verdeckt ihn und - auf den ersten Blick – verschandelt den lichten Blick durch die offene gläserne Halle, wobei sie diese in ihrer Höhe um Meter überragt. Bedruckt ist dieses schräg angelehnte Werk mit einem angeschnittenen Textfragment, mehr ahnend als wissend liest man die schwarzen Buchstaben „I do you“, es könnte auch ein „I don´t you“ oder ein „I don´t … you“ sein. Die enthaltene Botschaft ist nur vage entzifferbar: „ich mach dich…“,  „ich mach dich nicht…“,  „ich … dich nicht“. Bezieht sich das „you“ auf die Architektur, den Besucher, allgemein auf die Welt? Konkreter wird die Aussage, tritt man an diesen Wortspiegel heran, sieht sich selbst in dieser Fläche und hinter sich die reflektierte Kulisse: Straßen, Gebäude, Wände, Versorgungskästen, eben die ganze hässliche Ansicht jenseits der Potsdamerstraße, die Spielbank, die Silhouetten rund um den Potsdamer Platz, Wildwuchs zeitgenössischer Stadtarchitektur. Auch wir spiegeln uns, sind ein Teil dieser Wirklichkeit, verursacht von Raumplanern, Architekten, finanziert von Politik und Wirtschaft – männlichen Ursprungs, auch das ein Aspekt dieser Arbeit Bonvicinis, deren Position allgemein als feministisch im Ansatz gilt. Nach dem Blick in diesen Spiegel, der sich lässig anlehnt an einen erhabenen schönen Raum, nimmt man Stadtarchitektur anders wahr, hinterfragt Linien, Volumina, Materialien, Farben, Zusammenspiel mit Natur. Warum sieht Berlin an dieser Stelle so aus, wie es aussieht? Wären andere Lösungen möglich?

Auch die Werke im Innern lösen ein Erstaunen aus, begleitet von Beunruhigung und Unbehagen.

Die Bodenbedeckung des eingebauten Podests besteht aus Teppichfliesen. Jede einzelne ist bedruckt mit dem unterschiedlichen Motiv einer fallengelassenen Hose, unordentlich, einfach zurückgelassen. Aber hier gibt es nichts aufzuheben, nichts aufzuräumen, in guter Laune schreitet man über diese Relikte häuslicher Alltäglichkeiten hinweg.

Als Anmerkung muss ich hinzufügen, dass meine beiden Begleiterinnen sich an ihren Ordnungssinn gemahnt fühlten und - in Gedanken immer noch verärgert - Erinnerungen austauschten über reale Situationen in ihrem Leben. Ob es Begleitern ähnlich ergeht?

Dieser Aspekt, wie Handlungen, Dinge oder Materialien weiblich oder männlich konnotiert sind,  scheint durchgehend den Werken eingepflanzt zu sein, als Impuls, die Welt und das, was darin geschieht, genauer zu betrachten, zu reflektieren und mit dem eigenen Tun abzugleichen.

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© Germaine Richter