Mechanik und Menschlichkeit, Lehmbruck Museum, Duisburg,

23. März 2025 – 24. August 2025

 

 

Die Ausstellung „Mechanik und Menschlichkeit“ nimmt die Partnerschaft zwischen Eva Aeppli und Jean Tinguely, beide geboren 1925 in der Schweiz, in den Blick. Dabei versucht sie zwei Aspekte auszuloten: einmal den Blick auf das Private, sie waren miteinander verheiratet von 1951 – 1960. Darüber hinaus ergibt sich eine überraschende Darstellung gemeinsamer Werke der frühen 90er Jahre. Ihre Arbeiten, ihre Lebensanschauungen, ihre Themen, ihre Materialien -  in allen Aspekten fällt es spontan schwer, Gemeinsames zu finden. Und dennoch beziehen sich beide stark aufeinander und thematisieren immer wieder, wie wichtig, der/die jeweils andere für den eigenen Weg war.

Im Folgenden beziehe ich mich im Wesentlichen auf das Werk Eva Aepplis.

Ihre Puppen-Installationen machen sprachlos. In makelloser Verarbeitung von Seide und Kapok hat sie ausdrucksstarke Charakterköpfe geschaffen, deren körperlose Körper in Samt gehüllt, lange schmale Hände in sprechenden Gesten geformt, alles im gemeinsamen Sein oder im Sich-beziehen auf Gegenstände oder später auf Maschinen Tinguelys. Die genähten Köpfe, sie erscheinen im Original und auch als Bronzeguss, sind individuell, markant. Ausdrucksstark spielen sie mit den Gefühlen der BetrachterInnen, stumm senden sie Traurigkeit, Trostlosigkeit, Bestürzung aus. Alle erscheinen durch die feinen Nähte fragil und verletzt – oder gar vergangen.

Eine geheimnisvolle Nähe zum Tod scheint das gemeinsame Band zu sein, das ihr Werk zusammenhält. In der Abendmahlszene „La Table“ von 1965-67 sitzen 13 Figuren am Tisch, die mittlere ist der Tod, der die restlichen Zwölf zu umarmen scheint. Jede von ihnen setzt sich mit dem Ende auseinander, unausweichlich, zwingend, ihre Gesichter, ihre Körperhaltung, ihre Gestik, in allem ist diese Lebensbestimmung des Menschen ablesbar. Darüber täuschen auch nicht die feierliche Anordnung und die kostbaren Samtgewänder in wunderbaren Farben hinweg.

Auch „Fünf schwarze Witwen“ von 1969 nimmt dieses Thema auf. Alles an diesen Frauen trauert, die schwarzen Gesichter, die schwarzen Hände, die Gewänder und die Schleier. Nebeneinander haben sie ihren Platz auf einer Bank, sie sitzen dort isoliert, alleine, wortlos verharrend, auch wenn sie als Gruppe etwas gemeinsam tun. Die Gedanken Aepplis zu diesem Werk werden angedeutet in einem großen Foto von Tinguelys Atelier, in dem er auch schlief, dort steht im Blickpunkt sein Lotus 25/33 R6 und dahinter an der Wand sitzen die schweigsamen Witwen. Das Foto unterstreicht auch die unterschiedlichen Blickrichtungen der beiden KünstlerInnen, Tinguely liebte den Motorsport und damit die gefahrvollen Herausforderungen, Aepplis Gedanken kreisten um Lebensbewältigung, die unabwendbare Conditio humana.

Auch ihre Kohlezeichnungen und Ölbilder umkreisen die Vielgesichtigkeit des Todes. Als gänzlich natürliche Perspektive auf das Leben und die Welt nimmt Eva Aeppli diesen Aspekt menschlichen Seins an und arbeitet an seinen Erscheinungsformen. In prägenden Jugendjahren hatte sie die furchterregenden dunklen Seiten des Krieges erlebt, ihre Eltern nahmen 1939 bis 1945 drei jüdische Kinder auf und versteckten sie. Sie selbst bekommt sowohl von ihrem ersten Mann, Hans Leu, als auch von Jean Tinguely, jeweils ein Kind, beide wachsen bei den jeweiligen Großeltern väterlicherseits auf. Vielleicht kann man darin eine Kapitulation Aepplis vor dem Leben erkennen, obwohl sicherlich viele andere Erklärungen möglich sind. Aber die intensive Auseinandersetzung mit den Schattenseiten des menschlichen Seins boten ihr Lebenssinn und -inhalt für ein reifes künstlerisches Werk.

Vor allem ihre Puppen markieren im 20. Jahrhundert eine einzigartige Position, überragend in ihrer Vielschichtigkeit und Dichte. Diese Qualität wird auch sichtbar im Vergleich: ab Mai sind im Folkwang Museum in Essen die Puppen Paula Regos zu sehen, dazu die Puppe, die die Münchner Puppenmacherin Hermine Moos für Oskar Kokoschka anfertigte, sie war nach Aussehen und Maßen Alma Mahlers gearbeitet, oder die Puppen von Gisèle Vienne im Kolbe Museum in Berlin im September 2024, wo parallel dazu eine Ausstellung mit Puppen von KünstlerInnen der europäischen Avantgarde stattfand. Ganz leicht werden diese künstlichen Geschöpfe zu Trägern menschlicher Eigenschaften. Aber um den Betrachtenden zu berühren, bedarf es offensichtlich einer Tiefe und Vielschichtigkeit, dazu eines handwerklichen Könnens, diese Eigenschaften sind Aepplis Arbeiten in hohem Maße eigen.

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© Germaine Richter