Welch ein Zauber erfasst die BesucherIn in diesen grauen Wintertagen, wenn der Fahrstuhl sie in die lichten vielschichtigen Räume des Meier Baus entlässt! Leicht, duftig, wie hin geweht plustert sich ein wolkiges Oval auf dem Boden vor uns auf, unzählige kugelige Löwenzahnsamen schmiegen sich neben- und übereinander, jeder einzelne das fruchtbare Ende eines Sommers, zusammen ein fragiles Meer an weichen Formen und pudrigen Weißtönen. Vorsichtig mit verhaltenem Atem steht man vor diesem Wunder an Flüchtigkeit und Unerklärbarem und staunt über die knappe sachliche Bezeichnung „Löwenzahnteppich, 2023, Löwenzahnsamen“.
Empfindliche, zarte Gebilde aus der Natur, trockene Grasstängel, Samen, Fruchtstände, Tierhaare, Material, das im Alltäglichen keine Beachtung findet, das übernimmt hier Hauptrollen in Formen, die an geometrische Architekturmodelle erinnern, Türme, Schalen, Kuppeln, Stufen. So entsteht eine sachliche Fremdheit, die nach intensivem Betrachten verlangt.
Ein genaues Hinsehen und Erkennen einer riesigen Reuse aus Pferdehaaren beinhaltet einerseits die sprachlich distanzierte Annäherung an diesen Gegenstand und andrerseits die Wahrnehmung von Gespinsthaftem, von Wehendem und Vergehendem. Winzige Kuppeln aus Grasstängeln hinterlassen ein Sich-wundern. Eine Tempellandschaft aus Efeusamen entführt in eine fremde Welt.
Die Werke vereinen weit gespannte Ebenen durch ihre konnotative Kraft in Sprache, Material, Form und Farbe – darin liegt wohl die Ursache für das Staunen, das in den Ausstellungsräumen greifbar wird.
Christiane Löhrs Sinn für Materialität, sie war Meisterschülerin bei Jannis Kounellis, zeigt sich auch in ihren graphischen Blättern. Schwarze Spuren durchwandern, durchdringen die Papiere organisch, so dass man an Vergrößerungen mikroskopischer Aufnahmen denkt oder an eingebettete Wollgespinste.
Allem liegt ein großer Wahrnehmungs- und Erkenntnisschatz zugrunde, der sich mit Präzision in scheinbar Unscheinbarem manifestiert, dabei verwandelt sich Organisches in Abstraktes. Große Freude!