City of Refuge IV / Eine begehbare Installation über die Dualität der menschlichen Natur, Turbinenhalle an der Jahrhunderthalle Bochum, Ruhrtriennale, 16.Aug.-15.Sept.2024

 

 

Die Stadt der Zuflucht – der Titel stammt aus einem Lied von Nick Cave, in dessen Refrain alle Schuldbeladenen aufgefordert werden zu fliehen, zu laufen, sich in Sicherheit zu bringen in der Stadt der Zuflucht, denn anders ist ihr Leben in Gefahr. Schon das Alte Testament spricht von Asylstädten, die den Menschen Schutz vor Verfolgung, Rache und Naturgewalten boten.

Bei Berlinde de Bruyckere bleibt offen, welcher Ort Sicherheit bietet, wer auf der Suche nach Schutz ist, warum jemand unterwegs ist.

BesucherInnen betreten die Turbinenhalle vom ursprünglichen Hintereingang her, durch dunkle Gänge und flackerndes Licht nähert man sich zwei großen grünen Monstern, im Halbdunkel ahnbar als Turbinen. Der Weg windet sich um meterhohe Drahtzäune. Durch verhängte, zerfurchte Industriefenster fällt fahles Licht. Scheinwerfer lenken den Blick nach oben in den Raum über den stillgelegten Maschinen. Dort fällt ihr Licht zwischen Leitern, Aufbauten, Gestellen auf drei überlebensgroße Gestalten, Erzengel ohne Flügel. In diesem gefängnishaften, zugestellten, verlassenen Arbeitsraum stehen diese Wesen, ratlos, isoliert, ihre menschlichen geschundenen Füße, in einer letzten Bewegung verharrend, die restliche Gestalt in gebückter Haltung, unter Decken, Tierfellen, Häuten. Jede Figur steht alleine, jede wendet sich in unterschiedlicher Richtung, ein Ziel scheint nicht in Sicht.

Der Erzengel, eigentlich der Mittler zwischen den Menschen und Gott, mit Macht und Stärke und Weisheit ausgerüstet, hier scheint er reduziert auf eine suchende Hilflosigkeit. Können diese Erzengel noch Hoffnung geben, können sie dem Menschen einen Weg weisen, ihm Botschaft sein? Sind sie nicht selbst Verlorene mit verhängten Sinnen?

Nicht nur die Millionen von Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben, auf der Flucht vor Krieg und Tod werden in dieser Installation wach, auch die verbarrikadierten Möglichkeiten, für alle einen gerechten guten Ausweg zu finden. Die Vergangenheit fühlbar, die Zukunft im Verborgenen.

Was in der Ausstellung „City of Refuge III“ auf der Biennale in Venedig, ebenfalls in diesem Jahr in der Basilika San Giorgio Maggiore, noch aussieht wie ein Vergleich zwischen dem großartigen Versprechen einer barocken Kirche und ihrer Bildwelten und dem möglichen Erscheinungsbild der Erzengel von heute, wird hier in der Turbinenhalle zu erschütternden Wahrheiten unserer Tage geführt. Es fällt mir schwer, Berlinde de Bruyckeres Aussage nachzuempfinden, wenn sie sagt: “…Die weichen Materialien, die ich benutze – das Wachs, die Decken, die Tierhäute – mildern den Einschlag ab. Die Menschlichkeit in meiner Arbeit bringt Hoffnung …“

Ein großartiges Werk, das anregt, unsere Welt aus vielen Perspektiven zu reflektieren, sie neu zu bewerten und daraus vielleicht Impulse zu schaffen, die Wege öffnen könnten.

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© Germaine Richter