Aus einem Fenster der unteren Zone des Lehmbruck-Baus schaut uns jemand an, jemand, der nicht zum Repertoire des Museumsbegründers gehört: eine bronzegrüne verhüllte Gestalt, leicht zieht sie ihr Tuch hinter sich her. Wir nehmen nur ihre Größe war, klein und zierlich, vielleicht die Nase, d. h. hier die verschleierte Blickrichtung. Ein Geist? Ein Gespenst? Eine Frau im Tschador ohne Sehschlitz? Alicja Kwade steckt selbst unter dem Tuch, mithilfe von Scan und 3-D-Drucker und der Umsetzung in einen Bronzeguss kommentiert sie humorvoll die gefühlsintensiven, erdschweren und nackten Körpergestalten Lehmbrucks und sorgt beim schnellen Hinschauen für ein „Nanu?“ beim Betrachter, Verunsicherung, Hilflosigkeit. Ihr Frauenkörper ist kaum ahnbar, aber als Bronzeguss manifest in dieser ehrwürdigen musealen Runde. Sie versteckt sich und bleibt völlig unerkannt, und dennoch ist eine verhüllte weibliche Gestalt eine Aussage, auch zu unserem städtischen Alltag.
Dieses Gefühl des Sich-wunderns, des Nicht-verstehen-könnens zieht sich durch alle Räume, in denen die Künstlerin ihre Spuren hinterlassen hat. Naturgesetze, die sich mit unserer Wahrnehmung vermischen, scheinen außer Kraft zu treten. Alicja Kwade bespielt physikalische Ordnungen, indem sie auf unsere erlernten Kenntnisse setzt, und lässt uns rätselnd zurück, wenn unsere Erwartungen nicht zutreffen.
Glas- und Spiegelwände verursachen Zweifel an dem, was wir sehen, in uns entsteht ein Lächeln, ein ungläubiges Staunen. Von einer Raumdecke hängen tänzelnde Mobiles, bei näherem Betrachten sind es schwere, genau austarierte Steinbrocken an den Enden von Querstangen.
Auf der Terrasse abgestellt zwei ähnliche Kleinwagen aus Berlin. Die genauere Betrachtung offenbart zwei fast identische Autos, allerdings in Spiegelverkehrtheit Nach so vielen irreführenden Reflektionen sucht man hier vergebens nach einem Spiegel, hier sind tatsächlich die beiden Objekte so verändert, dass ihre Erscheinung als Spiegelbild des anderen fungiert. Selbst ein kleiner Rostfleck über dem Türgriff findet sich genau da, wo man ihn – hat man das Spiel erst begriffen – sucht.
Ein Doppelportrait der Künstlerin einmal von ihrer linken, einmal von ihrer rechten Profilseite fotografiert, entpuppt sich als das zufällig ähnliche Bild einer Fremden, die von Kwades Mutter fälschlicherweise als deren eigene Tochter identifiziert worden war. Dazu in gleicher Pose das nachgestellte Foto der echten Alicja Kwade.
Immer wieder erlebt man solche komischen irritierenden Momente, die unserem Wissen zu widersprechen scheinen, die erstmal ungelöst bleiben, sich dann aber voller Vergnügen als bewusstes Machwerk offenbaren. Damit löst Kwade ihr Versprechen ein, das sie im Titel der Ausstellung gibt: in Agnosie. Wahrnehmen ohne zu wissen, was wir da wahrnehmen, der rein physikalische Vorgang ohne das gedankliche Verarbeiten des Was.